Annette Katharina Hildebrandt

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Don’t Worry, Be Happy

— Aus dem Leben eines Mauerkindes/Kleiner Pionier – was nun?

Erinnerungen zweier Unangepaßter

Wie das war in und mit der DDR kann nur von denen aufgeschrieben werden, die sie erlebt haben. Jede Erinnerung ist anders und jede kann ein Teilchen sein in dem Riesen-Puzzle, das letztlich das Bild der DDR ergibt. Das Bild eines Landes voller Widersprüche, heute gehaßt oder verklärt, früher ein Land, mit dem sich die meisten seiner Bürger irgendwie arrangiert hatten. Doch nicht alle waren „normal“ und angepaßt. Interessant wird DDR-Geschichte vor allem dann, wenn sie von Individualisten erzählt wird, von Leuten, deren Leben Brüche aufweist und die in kein Raster passen.

Foto der CD
Das Buch kommt mit CD!

Schon rein äußerlich eine Besonderheit enthält die Publikation zwei in sich geschlossene Bücher, die in ihrem jeweils letzten Kapitel zusammenfinden, denn heute sind Autorin und Autor ein Paar. Eine Besonderheit ist auch die Buchgestaltung: Annette Hildebrandts Erzählungen beginnen wie üblich von vorn. Ebenso die von Lothar Tautz, allerdings muß der Band vor dem Lesen umgedreht werden. Ein Buch mit zwei Anfängen und in der Mitte einem gemeinsamen Happyend. Als originelle Beigabe eine von den Autoren konzipierte CD, auf der die über die Landesgrenzen hinaus bekannte und beliebte einstige Ministerin von Brandenburg, Regine Hildebrandt (Schwägerin von Annette H.), mit den familiären Hildebrandt-Singers Lieder von Pop bis Klassik singt, Musik, die richtig gute Laune macht.

Leseproben

aus:

Don‘t Worry, – Aus dem Leben eines Mauerkindes

von Annette Hildebrandt

Wenn unsere damals heiß geliebten Westgäste Abschied nahmen, kam ich mir wie von allen guten Feen verlassen vor. Unser Schmerz, so schien mir, war tief — die mitleidigen Abschiedsgesten der Gehenden dagegen oberfächlicher. Fühlten wir uns etwa ein wenig gedemütigt? Eines Besuches, einer Besichtigung waren wir wert, wir eingezäunten Menschen. Auch ganz possierlich, je nach Ausführung. Aber der Geruch! Der ganze Zoo roch anders. Leicht zurückgeblieben waren wir auch schon durch den mangelnden Auslauf. Artgemäßes Leben war das nicht. Manche von uns guckten gar unglücklich oder lagen bloß in der Ecke. Wie langweilig. Munterer wurden wir, wenn wir etwas Leckeres hineingeworfen bekamen. Doch das war eigentlich verboten, jedenfalls durfte man uns nicht zu viel mitbringen. Und man mußte Eintritt bezahlen. Dabei haben sie von dem Eintrittsgeld die Käfge nicht einmal ordentlich in Stand gehalten.

Die Mauer in den Köpfen bekam ihr Fundament. Wir Eingezäunten begannen, die uns gesetzten räumlichen Grenzen zu verinnerlichen. Wir entwickelten ein Gefühl für die möglichen Entfernungen. Die DDR, unser Käfg. Die Ostblockstaaten, unser Zoo. Tag und Nacht beobachtet und bewacht. Vorbild für die Truman-Show? Das staatliche Betreuungspersonal führte uns durch den Alltag. Unsere Tauglichkeit für den Lebenskampf in bürgerlicher Freiheit nahm kontinuierlich ab. Um den Wal „Willy“ machen sie ein Heidentheater, weil er vergessen hat, daß Wale im freien Meer Fische fangen sollten. Und was ist mit uns? Wenn die Freiheit fehlt, entstehen die Höhlen und Nischen als Rückzugs- und Hoheitsgebiete. Und wenn die Mauern fallen, kauern wir verschreckt am Boden, die einen länger, die anderen kürzer. Hören wir endlich auf, uns darüber zu wundern oder es gar zu bewerten. Niemand würde von einer Stallziege verlangen, innerhalb ihrer eigenen Lebenszeit zu einer Gemse zu mutieren. Und alle würden bewundernd Beifall spenden, wenn diese Ziege trotzdem die felsigen Klippen in Angriff nimmt. Und da sind wir doch dabei, oder?

aus:

Be Happy! – Kleiner Pionier – was nun?

von Lothar Tautz

In den letzten Monaten habe ich mich nur mit meinen Eltern herumgestritten: Das darfst du nicht, und das darfst du nicht. Bilder von Beatgruppen darfst du nicht mehr an die Wand hängen, abends darfst du nicht fortgehen, jedenfalls nicht zu einer Beatveranstaltung. Lange Haare darfst du nicht haben (was sollen nur die Leute sagen), Beatmusik darfst du nicht laut hören, am besten gar nicht. Du darfst nicht fortgehen, ohne zu sagen, wohin. Du darfst nicht kommen und gehen, wann du willst. Da darfst keine Schlaghose anziehen und dir keine spitzen Schuhe kaufen. – Verfucht noch mal, das hängt mir alles zum Halse heraus. Ich möchte den ganzen Kram hinschmeißen, ein Loch im eisernen Vorhang suchen und mich in Afrika oder sonstwo verkriechen. Oder in London leben, wo jetzt die Rolling Stones spielen. Ihre Musik hilft mir wieder auf. Manche Titel von ihnen gefallen mir so gut, daß mir beim Zuhören die Tränen kommen. Aber so etwas versteht in unserem Staat niemand. Ich werde als verrückt bezeichnet, und die Beatmusik ist verschrien, weil sie aus dem Westen kommt. Dabei sind die Beatles und die Stones Arbeiterkinder.


Als ich 1992 die ersten Stasiakten über mich zu sehen bekam, habe ich mich halbtot gelacht, weil mir von Mielke persönlich die Weihen eines besonders gefährlichen Widerstandskämpfers verliehen worden waren: „Operativer Vorgang Schütze“, wie militant das klingt. Dabei war mein Lebensmotto eher „Fröhlich sein und singen“ als „Kämpfen und ringen“. Meine Mutter hat mir zwar schon als ich noch Jungpionier war, immer wieder vorgehalten, ich hätte einen übertriebenen Gerechtigkeitssinn, aber zum Märtyrer habe ich nie getaugt. Deswegen bin ich wohl auch immer wieder knapp am Knast vorbeigeschrammt, anstatt eingebuchtet zu werden.

Klappentext zu:
Don’t Worry, Be Happy!

Drei Jahrzehnte Leben in der DDR und 10 Jahre in der vereinigten Bundesrepublik Deutschland waren Jahre voll fröhlichen Lebens und Glück, aber auch voll Ärger und manchmal Kummer für Annette Hildebrandt, das geborene Mauerkind. Obwohl die eigenwillige Pfarrerstochter schon als Kind aus dem Paradies vertrieben wurde, trotz Spitzenzeugnis nicht studieren durfte und mit Trauer- und Wuttränen in den Augen zusehen mußte, wie „ihre“ Versöhnungskirche gesprengt wurde, hat sich die berufstätige Mutter zweier Kinder von den Verhältnissen nicht unterkriegen lassen. Nicht zuletzt auch dank der Musik, die die begeisterte Chorsängerin – familienbedingt – immer begleitete. „Don´t Worry, Be Happy!“ hat sie sich ebenso zum Lebensmotto gemacht wie Lothar Tautz. Der einst klassenbewußte Arbeitersohn mit der mehr als „bunten“ Biographie, der der subversiven Szene der DDR angehörte und als Staatsfeind ständig unter Beobachtung stand, ist ihr im Leben immer wieder begegnet. Und weil das so eine Sache ist mit den Zufällen, wurden die beiden unangepaßten Individualisten über die gemeinsame politische Arbeit und die musikalischen Interessen doch noch ein Paar. Ein Buch mit zwei Anfängen und in der Mitte einem Happy-End, zwei in sich geschlossene Erzählungen darüber, was in einem DDR-Leben möglich und unmöglich war und was sich seitdem verändert hat.

Entlang historischer Ereignisse erinnern sich Autorin und Autor an wichtige persönliche Erlebnisse und Entwicklungen im Spannungsfeld der Auseinandersetzungen zwischen DDR und BRD. Entstanden ist eine literarische Dokumentation zweier verschiedener Biographien über Wandlungen und Verwandlungen. Amüsant, kritisch, ironisch erzählt sie von Menschen, die nicht mit jedem Strom schwimmen, aber auf konstruktive Weise versuchen, ihrer Gesellschaft Anstöße zu geben. Annette Hildebrandt sortiert und kommentiert ihre Erinnerungen aus heutiger Sicht. Lothar Tautz hingegen begibt sich als Erzähler in die beschriebene Zeit hinein. Zum Lesen des jeweils anderen Teils muß das Buch umgedreht werden.

Originelle Beigabe dieses Doppelbuches, das gemeinsam konzipiert, aber getrennt geschrieben wurde, ist die CD der „Hildebrandt-Singers“, auf der die über die Landesgrenzen hinaus bekannte und beliebte frühere Ministerin von Brandenburg, Regine Hildebrandt, mit dem Quasi-Familienchor Lieder von Pop bis Klassik singt. Liebes- und Lebenslieder aus vier Jahrhunderten stellte Annette Hildebrandt zusammen. Songs von ABBA bis Monteverdi, von den Beatles bis zu den Comedian Harmonists sind im Repertoire der Singers. Musik also, die richtig gute Laune macht.

Informationen zum Buch

Ausgewählte Stimmen, Meinungen, Reaktionen

Wolfgang Thierse am 28. März 2001 als Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie:

Ich glaube, wir brauchen mehr solcher Privatbiographien aus Ostdeutschland, die jenseits von Verklärungen oder Verurteilungen Medium der Selbstverständigung und des Austausches sein können zwischen Menschen, die selber an ihren Erinnerungen laborieren und sie gerne artikulieren möchten. Und ich denke, solche Art heiterer, selbstkritischer Erinnerung an die eigenen Lebensgeschichten stärkt ostdeutsches Selbstbewusstsein: Sich daran zu erinnern, dass man auch in der DDR seinen Maßstäben von Anstand und Vernunft hat folgen können. Dieses Buch ist ein schönes lesenswertes Beispiel genau dafür. Lesen Sie es!

Susanne Miller am 7. April als Ehrenvorsitzende der Historischen Kommission der SPD:

Diese Erinnerungen zweier Menschen aus der DDR auf der Suche nach Wahrheit und nach sinnvoller Betätigung ihrer Kreativität fesseln durch ihre Aufrichtigkeit und die lebendigen Schilderungen von Milieu und Erfahrungen.

Lausitzer Rundschau am 7. April 2001: Es gibt immer sone und solche

Es ist eine kritische, aber gerechte Bestandsaufnahme des Lebens in der DDR und des schwierigen Zusammenwachsens der Deutschen nach der Wende.

Oranienburger Generalanzeiger am 30. März 2001: Das „erste echte Wendebuch“

Annette Hildebrandts Mauerkind-Buch ist selbstverständlich eng verbunden mit ihrer Familie, also auch mit ihrer Schwägerin Regine Hildebrandt. Liebevoll der Familie und fast schadenfroh der Stasi-Obrigkeit gegenüber hat Annette Hildebrandt ihre Erinnerungen aufgezeichnet. Der Stil von Lothar Tautz geht tiefer. Seine Wahrheit und die darin befindliche Komik wird nicht erzeugt — sie ist.

Das Buch liest sich leicht. Zwar ist es wieder eine Biografie von Bürgerrechtlern, von engagierten politischen Menschen — keine wirklich normalen DDR-Bürger. Aber sie widerlegt auch gekonnt Vorurteile über das Leben in der DDR, die heute leider immer noch im Westen kursieren.

Die Kirche am 11. März 2001: Fröhlich sein mit Sorgen

Alle, die in einem Buch immer das letzte Kapitel zuerst lesen, seien gewarnt. Dieses Buch hat keines. Ganz gleich, wie der Leser „Don’t Worry, Be Happy“ auch wendet, er steht immer an einem Anfang.

Mal ernst, mal heiter, spannend und unterhaltsam beschreiben die Autoren entlang historischer Ereignisse ihr Leben. Das Band, das beide Biographien miteinander verbindet, ist neben dem politischen Engagement die Musik. Die Sängerin der Berliner Domkantorei („meine Exquisitnische“) und der „langhaarige, vollbärtige Ostvertreter der Beatgeneration“ fanden und finden in ihr eine Möglichkeit, dem Ärger des Alltags zeitweilig zu entrinnen.

Leipziger Volkszeitung am 15. Februar 2001: Zwei Leben, zweimal Heimat, ein Motto im Doppelbuch

Zwei Leben bewegen sich aufeinander zu. Erst unabhängig voneinander. Später werden die Vernetzungen enger und schließlich untrennbar. Eine solche Findung zweier Lebensläufe gib es oft auf der Welt. Doch wenige sind so erzählenswert und historisch anschaulich.

Mitteldeutsche Zeitung am 6. Januar 2001: Königskinder blicken zurück

Was Lothar Tautz über seine DDR-Karriere vom gläubigen, dann zweifelnden Jungkommunisten bis zum Aussteiger und Theater-Requisiteur, Theologiestudenten und observierten Staatsfeind zu berichten hat, ist ebenso spannend wie es Konsequenz bezeugt. Niemals aber, auch bei Annette Hildebrandt nicht, findet sich selbstgerechter Eifer in diesem ostdeutschen Lesebuch.

SUPER ILLU am 21. September 2000 zur dem Buch beigefügten CD:

20 Regine Hildebrandts, die gleichzeitig den Mund aufmachen? Kein Albtraum, sondern ein Ohrenschmaus! Den es jetzt auf CD gibt.

Neues Deutschland am 19. September 2000: Erinnerung an Jahre der Opposition

Getreu dem Motto: „Politische Einmischung muss sein, aber sie sollte Spaß machen!“ präsentierten die Hildebrandt-Singers ihre erste CD und das Buch, in dem Annette Hildebrandt und ihr Partner Lothar Tautz ihre Lebenswege erzählen. Dem musikalischen Teil war der Beifall gewiss, auch wenn dieser oder jener die Acapella-Interpretation von Beatles-Titeln möglicherweise etwas merkwürdig findet. Die das sangen, können singen, und sie tun es mit großer Freude.

Das Buch kommt kopflastiger daher. Eindrucksvoll ist der Band immer dann, wenn die Biografen sehr genau und aus unverwechselbarer persönlicher Erfahrung Vergangenheit uns ausbreiten.

Über das Buch

Buch mit ca. 300 Seiten, mit Fotos, Klappenbroschur, CD der Hildebrandt-Singers: „Liebes- und Lebenslieder von ABBA bis Monteverdi“, erschienen 2000 im Mitteldeutschen Verlag.

Restexemplare können bei der Autorin für €5 zzgl. Versand bestellt werden.

Über die Autoren

Annette Hildebrandt, geb. 1954 in Ost-Berlin, ist gelernte Assistentin für Stimm- und Sprachtherapie. Nach 1989 arbeitete sie als Geschäftsführerin der Berliner Domkantorei und Assistentin am Europäischen Parlament sowie als Geschäftsführerin des Evangelischen Kirchentages in Mitteldeutschland. Sie ist Preisträgerin des Halberstädter Minna-Bollmann-Preises. Heute leitet sie in Heldrungen (Thüringen) ein Projektbüro für politische Bildung und Kulturmanagement, arbeitet als Schriftstellerin und ist ehrenamtliches Mitglied im Integrationsbeirat des Kyffhäuserkreises.

Annette Hildebrandt, links; Lothar Tautz, rechts; die autoren halten das Buch.

Lothar Tautz, geb. 1950 in Erfurt, ist Diplompädagoge, Theologe und Pastor. Vor 1989 arbeitete er als Geschäftsführer des Kirchentages in der Kirchenprovinz Sachsen und als Jugendpfarrer in Weißenfels. Nach den Volkskammerwahlen 1990 baute er in verschiedenen Ministerien der DDR den öffentlichen Dienst mit auf. Nach dem 3. Oktober 1990 arbeitete er u.a. im Bundeswirtschaftsministerium und in der Magdeburger Staatskanzlei. Seit 2008 gehört Tautz dem Bundesvorstand des Vereins “Gegen Vergessen-Für Demokratie” an und ist als Landessprecher in Sachsen-Anhalt ehrenamtlich tätig.